Harald Werner - Alles was links ist
 

Woher kommen die Milliardenprofite von Google & Co

Wer seinen Marx gelesen und auch verstanden hat, weiß mindestens, dass der kapitalistische Profit in der Regel aus Lohnarbeit und nicht aus regelmäßigem Diebstahl entsteht. Gilt das aber auch für die unaufhörlich wachsenden Milliardenprofite von Google oder Facebook?  

 

Die unendliche Geschichte der

sogenannten ursprünglichen Akkumulation

 

Am Ende des ersten Kapitalbandes, nämlich im 24. Kapitel, beschreibt Marx den ursprünglichen „Sündenfall“ des Kapitals, nämlich die Kette der blutigen Verbrechen, die den Kapitalismus erst möglich machten. Was in der bürgerlichen Geschichtsschreibung als Ausgangspunkt des Kapitalismus erscheint, nämlich Handwerksfleiß und Sparsamkeit, war in der Realität eine Enteignung und Vertreibung der Landbevölkerung sowie eine Blutgesetzgebung, die Millionen ehemaliger Bauern mit dem Tode bedrohte oder in die Kolonien verbannte, wenn sie als Landstreicher herumvagabundierten. Erst der Raub des Gemeindelandes und die angebliche Befreiung der Bauern schufen die Voraussetzung für die Akkumulation des Kapitals. So wurde zum Beispiel unter Heinrich VII in England ein Gesetz geschaffen, in dem es hieß „alte und arbeitsunfähige Bettler erhalten eine Bettellizenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrung für handfeste Vagabunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeißelt werden, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid schwören, zu ihrem Geburtsort oder dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt, zurückkehren und sich an die Arbeit zu setzen.“ [1]

 

Rosa Luxemburg hat dann am Anfang des 20.Jahrhunderts festgestellt, dass sich die angeblich „ursprüngliche Akkumulation“ permanent wiederholt, wenn etwa neue Kolonien erschlossen und indigene Völker vertrieben werden. „In seinem Drange nach Aneignung der Produktivkräfte zu Zwecken der Ausbeutung“ so schreibt Rosa Luxemburg, „durchstöbert das Kapital die ganze Welt, verschafft sich Produktionsmittel aus allen Winkeln der Erde, errafft oder erwirbt sie von allen Kulturstufen und Gesellschaftsformen. (…) Zur produktiven Verwendung des realisierten Mehrwerts ist erforderlich, dass das Kapital fortschreitend immer mehr den gesamten Erdball zur Verfügung hat, um in seinen Produktionsmitteln quantitativ und qualitativ unumschränkte Auswahl zu haben.“[2] So gesehen muss man auch die gesamten Beziehungen zwischen den kapitalistischen Hauptländern und den weniger entwickelten Ländern, bis heute als ein von Raub und Ausplünderung geprägtes Verhältnis betrachten.  „Die ursprüngliche Akkumulation ist deshalb kein historisch abgeschlossenes Ereignis gewesen. Im Gegenteil: Marx stellt den Ursprung einer Produktionsweise dar, die seitdem anhält.“[3]

 

Die „äußere und innere Landnahme“ des Kapitals

Nach der Ausplünderung der weniger entwickelten Länder, die in der linken Literatur als „äußere Landnahme“ bezeichnet wird, hat die Diskussion in den letzten Jahrzehnten auch den Begriff der „inneren Landnahme“ hervorgebracht. Damit ist gemeint, dass sich die kapitalistische Akkumulation in den entwickelten Industrieländern zunehmend auch auf soziale und psychische Ressourcen stützt, die sie sich unentgeltlich aneignet und die im neoliberalen Sprachgebrauch als „weiche Standortvorteile“ bezeichnet werden. Weich deshalb, weil sie sich nicht in harten Preisen ausdrücken lassen, sondern dem Kapital „gratis“ zur Verfügung stehen. Entweder als staatliche Dienstleistung oder private Anstrengung, sich den veränderten Produktionsbedingungen anzupassen. Nichts drückt das besser aus, als der schillernde Begriff des Arbeitskraftunternehmers, der zwar kein Unternehmer ist, aber wie ein Unternehmer denken und vor allem handeln soll: Als Konkurrent seiner Kolleg*innen und im ständigen individuellen Bemühen, seine eigeneProduktivität zu erhöhen. 

 

Überwachungskapitalismus

Die amerikanische Ökonomin Soshana Zuboff hat eine bislang einmalige Studie zur politischen Ökonomie des Internets veröffentlicht, in der sie die Quellen der Milliardengewinne der Internetunternehmen enthüllt und gleichzeitig die gesellschaftlichen Gefahren ihrer Praktiken aufzeigt.[4] Wobei mit Überwachungskapitalismus nicht in erster Linie die persönliche Überwachung der Bürger gemeint ist, sondern das permanente Sammeln und Auswerten aller nur denkbaren, im Internet verfügbaren Daten. Zuboff bezeichnet damit eine „neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für ihre versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Verkaufs reklamiert. (…) eine parasitäre ökonomische Logik, bei der die Produktion von Gütern und Dienstleistungen einer neuen globalen Architektur zur Verhaltensmodifikation untergeordnet ist. (…) eine aus der Art geschlagene Form des Kapitalismus, die sich durch eine Konzentration von Reichtum, Wissen und Macht auszeichnet, die in der Menschheitsgeschichte beispiellos ist.“[5] Im Kern geht es also beim Überwachungskapitalismus um die Enteignung der Privatsphäre der Nutzer und den Verkauf ihrer Daten an Markenartikler oder Werbeagenturen.

 

Wobei sich das Ausspähen und der Verkauf von Nutzerdaten erst relativ spät entwickelte. Zunächst registrierten Google & Co lediglich jene Nutzerdaten, die unmittelbar aus der Suche nach einer bestimmten Antwort entstanden. Doch jede Suche registrierte nicht nur was gesucht wurde, sondern auch was sonst noch im Rechner zu finden war. Deshalb erkannten die findigen Köpfe der Internetkonzerne bald schon, „dass die unstrukturierten Signale im Kielwasser jeder Online-Aktion detaillierte Geschichten über den Nutzer – über seine Gedanken, Gefühle und Interessen zu erzählen vermochten.“[6]  Anhand dieser Daten ließen sich nicht nur gezielte Werbeangebote entwickeln, sondern auch Algorithmen, die Voraussagen über das künftige Kaufverhalten der Nutzer ermöglichten. Schon immer wurden Menschen ausgehorcht und überwacht, aber noch nie konnte eine mathematisch gestützte Vorhersage über ihre Zukunft gemacht werden.

 

Noch problematischer für eine demokratische Gesellschaft ist freilich die Möglichkeit, nicht nur die politische Orientierung der Nutzer präzise auszuforschen, sondern auch ihr künftiges Verhalten vorherzusagen und dementsprechende Politikangebote zu unterbreiten. Der Überwachungskapitalismus begnügt sich nämlich nicht damit, das bestehende politische Denken auszuforschen, sondern er manipuliert es auch – wie nach den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA zu erfahren war.

 

Mehr Akkumulation - weniger Arbeit

In mancherlei Hinsicht erinnert das Geschäftsmodell einiger Internetkonzerne an die „ursprüngliche Akkumulation des Kapitals“ beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Das Kapital raubte damals Güter, die in dem Sinne wertlos waren, als für sie nichts bezahlt werden musste. Damals geschah dies durch den Raub des Gemeindelandes und die Verwandlung landloser Bauern in Fabrikarbeiter. Heute stützt sich der Raub auf die annähernd kostenfrei zu erwerbenden Informationen über Meinungen, Wünsche und Gefühle der Internetnutzer. Und die Verfügung über den fast kostenlosen Datenrohstoff zahlt sich auch aus, denn die „künstliche Intelligenz“ ersetzt auch intelligentes Personal.  Vergleicht man zum Beispiel das variable Kapital von Google mit dem von Volkswagen, also den Anteil der Lohnkosten, dann ist es wesentlich profitabler Daten als Autos zu verkaufen. Während der VW-Konzern im Geschäftsjahr 2018 mit 642.292 Beschäftigten einen Reingewinn von 12,1 Milliarden Euro erwirtschaftete, kam Google mit nur 72.000 Beschäftigten bereits auf einen Gewinn von 8,5 Milliarden Dollar.

Harald Werner 4.12.19

 

 


[1] MEW 23, S. 762

[2] Rosa Luxemburg Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke, Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 296-316.

[3] https://www.rosalux.de/dokumentation/id/13999/



[4] Soshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Frankfurt/New York 2018

[5] a.o.O. S.1

[6] Zuboff a.o.O. S.90


[angelegt/ aktualisiert am  05.12.2019]