Harald Werner - Alles was links ist
 

 

Das langsame Ende der linken Milieuparteien 

Der Untergang der staatssozialistischen Länder mündete nicht nur in eine Auflösung der staatstragenden Parteien, sondern auch in eine totale Entwertung sozialistischer Utopien. Nur nicht im deutschen Osten. Die PDS wurde zur ersten sozialistischen Partei, die nicht aus einem Aufbruch, sondern aus einer Niederlage entstand. Ihr „Trotzalledem“ hat sie zu einer ostdeutschen Milieupartei gemacht, die als Einzige die Entwertung von Biografien, den Raubbau am ehemals sozialistischen Eigentum und die Versteppung der kulturellen Infrastruktur anprangerte. Nicht, dass dies inzwischen vergessen wäre, aber die LINKE ist nicht mehr die einzige Partei, die das thematisiert. Damit hat sie nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal, sondern auch ihren Nimbus als Kümmererpartei verloren. Nichts wäre allerdings aussichtsloser, als an das anknöpfen zu wollen, was die PDS und später DIELINKE einmal waren. Die Zeit der Milieuparteien scheint generell abgelaufen, was als erstes die SPD traf, inzwischen aber sogar die CSU.

 

Die Schwäche der Richtungsparteien und der Hype von AFD und Grünen

Angesichts der enttäuschenden Ergebnisse, die die LINKE bei der Europawahl einfahren musste, sollte man nicht die Verluste von Union und SPD vergessen. Die Union verlor gegenüber den letzten Wahlen 8,4 und die SPD sogar 11,5 Prozent. Sieht man sich die Ergebnisse der anderen europäischen Länder an, zeigt das gleiche Bild: Die traditionellen Richtungsparteien des linken wie des konservativen Lagers verlieren überall an Boden und werden von Parteien überholt, die sich nicht mehr an Weltanschauungen orientieren, sondern an aktuell populären Themen, die sich nicht ohne weiteres links oder rechts verorten lassen. Der Hauptgrund dafür ist offensichtlich die Komplexität der der politischen Probleme auf der einen Seite und des unübersehbaren Kontrollverlusts der traditionellen Regierungsparteien auf der anderen.

 

Es versteht sich zwar von selbst, dass man die wachsende Stärke der AFD und den Siegeszug der Grünen nicht miteinander vergleichen kann. Und doch zeigt sich bei beiden das gleiche Muster: Beide Parteien erlauben es dem Wahlvolk, die Komplexität der politischen Prozesse auf eine zentrale Frage zu reduzieren. Die Grünen überzeugen durch ihre Ökologiepolitik, die AFD reduziert die Krisenprozesse auf Migration und angebliche Überfremdung. Leider ist zu befürchten, dass der Hype der Grünen schneller endet, als der Durchmarsch der AFD, weil die grüne Wählerschaft ein differenzierteres Politikverständnis hat und ihre Wahlentscheidung auch von anderen gesellschaftlichen Entwicklungen abhängt.

 

Die heimliche Stärke der Parteien

Alle Parteien, und die LINKE macht das keine Ausnahme, sind davon überzeugt, dass die Medien den größten Einfluss auf die politische Willensbildung besitzen – einschließlich der zunehmenden Netzkommunikation. Dass politische Kommunikation im Alltag stattfindet, am Arbeitsplatz, in der Familie, wie auch in der Kneipe, wird in der Regel unterschätzt oder überhaupt nicht thematisiert. Vor allem deshalb nicht, weil sie von den Kommunikationsspezialisten der Parteien weder geplant noch organisiert werden kann. Während immer intensiver über die Chancen oder auch Gefahren der Netzkommunikation diskutiert wird, gerät die Kommunikation im Gespräch von Angesicht zu Angesicht immer mehr in Vergessenheit. Es gibt keine Untersuchungen dazu, wie häufig und über welche Themen im Alltag über Politik gesprochen wird, doch kaum vorstellbar, dass das spontane, persönliche Gespräch über die politische Lage ohne Wirkung bleibt. Wobei es gar nicht darum geht, ob direkt über das politische Geschehen diskutiert wird. Viel entscheidender ist die persönliche Bewertung einer gesellschaftlichen Entwicklung oder eines persönlichen Erlebnisses, die immer etwas mit Politik zu tun haben.

 

Mit Sicherheit entwickeln sich persönliche Kontakte immer mehr zu einem politischen Gespräch, wenn an ihnen politisch aktive Gesprächspartner beteiligt sind. Wie man im Gespräch mit einem Bundesligatrainer zwangsläufig auf Fußball kommt, wird ein politisch aktiver Gesprächspartner fast immer auch auf seine Partei angesprochen – und sei es nur, um ihn zu provozieren. Das einmal vorangestellt, werfen sich drei Fragen auf. Erstens wie viele Mitglieder eine Partei hat, welche sozialen Kontakte diese haben und wie überzeugend sie argumentieren können. Auf jeden Fall aber scheint es eine Korrelation zwischen der Mitgliederzahl der Parteien und ihren Wahlergebnissen zu geben. Denn je mehr Mitglieder eine Partei hat, desto stabiler ihr Rang in der Wahlstatistik und je mehr Mitglieder sie verliert, desto schlechter schließt sie auch bei Wahlen ab.

 

 

Das Dilemma der LINKEN im Osten

In Ostdeutschland kann die LINKE alles richtig und wenig falsch machen, wird aber trotzdem bei den Wahlen tendenziell schlechter abschneiden, weil die Zeit gegen sie läuft. Einerseits dünnt sich das immer älter werdende politische Milieu aus, auf das sich erst die PDS und später die LINKE stützen konnten. Andererseits aber leidet unter der Überalterung auch die Handlungsfähigkeit der Partei. Und das im noch stärkeren Maße, weil an der Parteibasis nicht nur die Sterbefälle stärker zunehmen, als in der Gesamtbevölkerung, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Basisorganisationen schrumpft. Von einem bestimmten Alter an hängt man keine Plakate mehr auf, besetzt keine Infostände und verliert auch das Interesse an Mitgliederversammlungen.

 

Von 2007 bis 2017 hat die LINKE in den ostdeutschen Landesverbänden 16.716 Mitglieder verloren – das sind 32,8 Prozent. Natürlich werden auch jüngere Mitglieder gewonnen, was aber nicht immer ein Zugewinn für die Basis ist. Denn in einer Basisorganisation mit einem Altersdurchschnitt von über 60 Jahren werden sich 20jährige nur selten wirklich wohl fühlen. Hinzu kommt, dass der innerparteiliche und parlamentarische Personalbedarf nicht im gleichen Maße abnimmt wie die Mitgliederzahl - im Gegenteil. Die Nachfrage nach jungen Mitgliedern, vor allem nach Frauen, die Funktionen in der Partei oder in Parlamenten übernehmen bleibt hoch.

 

Vor diesem Hintergrund ist eines der größten Versäumnisse der LINKEN, dass sie keine offensive, kampagnenartige Mitgliederwerbung betreibt. Die Partei veranstaltet zwar Seminare zum Thema Organizing, ist bisher aber nicht auf die Idee gekommen, einen Wettbewerb zur Gewinnung neuer Mitglieder zu organisieren. Es kommt selten vor, dass ich mich an Nachahmenswertes aus meiner DKP-Mitgliedschaft erinnere, aber diese Partei hat es unter sehr viel schwierigeren Bedingungen geschafft, in kurzer Zeit Zehntausende neuer Mitglieder zu gewinnen. Warum soll DIE LINKE das nicht auch können?

Harald Werner, 31.7.19

 


[angelegt/ aktualisiert am  31.07.2019]