Harald Werner - Alles was links ist
 

Schlimmer als ein Heuschreckenschwarm

Auf die Selbstregulation der Natur ist selbst bei Heuschreckenschwärmen Verlass. Irgendwann finden sie nichts mehr zum Fressen und schrumpfen auf eine naturverträgliche Größe zusammen. Dem Kapitalismus fehlt es an dieser natürlichen Fressbremse, weil er in der Lage ist, nicht nur alles in eine Ware zu verwandeln, sondern auch das Warenangebot ständig zu erweitern. Nicht ohne Grund beginnt Marx deshalb das „Kapital“ mit dem Satz: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung.“[1] Erstaunlich vor diesem Hintergrund, dass selbst viele linke Kritiker des Klimawandels nicht den Konsumterror ins Visier nehmen, sondern bei der Verringerung des Autoverkehrs, der Reduktion der bekannten Klimakiller oder dem Ausbau alternativer Energiequellen stehen bleiben. Denn gleichgültig wie produziert wird, es muss vor allem immer mehr produziert werden um mehr akkumulieren zu können.  Akkumuliert – akkumuliert, so schreibt Marx, „das ist Moses und die Propheten“, und meint damit, dass es sich bei der Jagd auf Profit um ein „inneres Zwangsgesetz“ handelt, dem sich der Kapitaleigner nur bei Strafe seines Untergangs entziehen kann.[2]

Dass Problem ist nur, dass nur dann mehr akkumuliert werden kann, wenn erstens mehr produziert und zweitens auch immer mehr verkauft werden kann. Erlahmt der Absatz und mit ihm die Akkumulation, muss sich das Kapital entweder neue Märkte erschließen oder die alten mit neuen Produkten erobern. Die neoliberale Modernisierung hat beide Strategien perfektioniert, indem sie die weniger entwickelten Länder in den kapitalistischen Weltmarkt integrierte und in den kapitalistischen Hauptländern sowohl neue Bedürfnisse wecken konnte, als auch neue Waren auf den Markt bringen konnte. Das innere Zwangsgesetz des Kapitalismus, nämlich fortgesetzt zu akkumulieren, verwandelt sich für den Konsumenten zum Bedürfnis fortgesetzt Neues zu kaufen.

 

Akkumulation durch „moralischen Verschleiß“   

Die Zeiten sind längst vorbei, als die Industrie dafür sorgen musste, dass ihre Autos, Fernseher oder Waschmaschinen eines Tages schlicht ihren Geist aufgeben. Heute versagen Konsumgüter kaum mehr technisch, sondern moralisch – man ist einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit, wenn man nicht das modernste Modell besitzt, der Digitalisierung seines Haushalts hinterherhinkt oder mit seinem Handy nur telefonieren will. Der moralische Verschleiß beschleunigt aber nicht nur den Warenumsatz, sondern auch die Warenwerbung, die dem Konsumenten klar zu machen hat, was er kaufen muss, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Im vergangen Jahr wurden in der BRD zur Beschleunigung des Warenumsatzes 26,7 Milliarden Euro in die Werbung investiert. Das sind 8,5 Milliarden Euro mehr als die Bundesregierung zur gleichen Zeit für Bildung und Forschung ausgab. Nichts aber hat den moralischen Verschleiß mehr beschleunigt, als die Digitalisierung. Nicht nur die Programmversionen veralten immer schneller und müssen durch neue Updates ersetzt werden, sondern es werden ständig auch neue Anwendungen auf den Markt gebracht, die größere Datenmengen verarbeiten müssen und schnellere Netze verlangen. Vor allem die öffentliche Verwaltung wird durch den Umstieg auf ein neues Windows nicht nur häufig in ein administratives Chaos gestürzt, sondern sie muss dafür auch Hunderte Millionen in die Haushalte einstellen. Für die Münchner Stadtverwaltung wurden zum Beispiel bei der letzten Windowsumstellung 49,3 Millionen Euro fällig.

 

Der sich immer schneller vollziehende moralische Verschleiß digitaler Techniken spielt in der Klimadebatte kaum eine Rolle, weil die Digitalisierung als Hoffnungsträger des ökologischen Umbaus, vor allem aber als Alternative zur energieintensiven Produktion verkauft wird. Dass sie an anderer Stelle gleichzeitig den Energieverbrauch erhöht, wird dabei kaum thematisiert. Das liegt vor allem daran, dass die Nutzer von Smartphones und PC kaum eine Vorstellung von der energiefressenden Infrastruktur der Netze haben. Wer beispielsweise eine Google-Suche startet, benötigt an drei Stellen Energie: beim eigenen Endgerät, in den Daten- und Rechenzentren mit ihren Servern und Kühlaggregaten und bei den Kommunikationsnetzen, inklusive Mobilfunkstationen und Internet-Routern. Die Rechenzentren sind regelrechte Energiefresser, so dass zum Beispiel die Rechenzentren von Google so viel Strom wie eine Stadt mit 200.000 Einwohnern verbrauchen und das größte Rechenzentrum Frankfurts mehr Energie als der Flughafen verschlingt. Die Rechenzentren verbrauchen inzwischen weltweit genauso viel Energie wie die globale Luftfahrt. (https://www.swr.de/natuerlich/stromfresser-internet-wie-viel-energie-braucht-das-netz) Auf die globale IT-Branche entfallen etwa sieben Prozent des weltweiten Stromverbrauchs. Das entspricht ungefähr der Energiemenge, die 70 Prozent aller in der Welt laufenden Kernkraftwerke produzieren. Und das Dramatische daran ist, dass sich die weltweite Nutzung des Webs und seiner Ressourcen alle ein bis zwei Jahre verdoppelt.

 

Die Kommerzialisierung des „Wertlosen“

Nach der Erhöhung der Ausbeutungsrate in der materiellen Produktion, wird es für das akkumulierende Kapital immer wichtiger, sich Lebensbereiche zu erobern, die zwar einen hohen Gebrauchswert haben, aber in dem Sinne wertlos sind, dass sie keinen Warenwert besitzen. Entweder werden diese Güter vom Staat bereit gestellt oder von den Individuen in ihrer Freizeit organisiert. Zunächst denkt man dabei an die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, also die Umwandlung öffentlicher Dienste in Privatunternehmen, wie etwa im Verkehrswesen oder dem Gesundheits- und Bildungsbereich. So wurden in der BRD 32 Prozent aller kommunalen Wohnungen, 27 Prozent der Energieversorgung, 15 Prozent der kommunalen Abfallentsorgung und 12 Prozent des Gesundheitswesens in Privateigentum verwandelt.[1] Hinter der öffentlich verbreiteten Ideologie, dass es sowohl den Verkäufern, als auch dem Kapital um eine Qualifizierung der öffentlichen Angebote ging, verbarg sich jedoch die grundlegende Tendenz des Kapitals, seine Akkumulationsbasis zu verbreitern. Doch diese Umwandlung der öffentlichen Güter in Privateigentum hat weder deren Gebrauchswert erhöht, noch die Ökobilanz verbessert. Im Gegenteil, die Dienstleistungen wurden schlechter, vor allem im öffentlichen Verkehr, was der Autoindustrie überaus recht war.

 

Spaß muss sein

In den 1990er Jahren, als sich der Systemgegensatz verflüchtigt hatte, erlebte die Welt einen rasanten kulturellen Umbruch, eine umfassende Liberalisierung und eine alle Lebensbereiche erfassende Individualisierung. Politik, Mode und Musik, alles wurde zur Ware. War zu Beginn des Jahrhunderts noch genau festgelegt, wer was tragen durfte, zu welcher Gesellschaftsschicht welcher Stoff gehörte und wann welche Farbe schicklich war, so scheinen in den 90er Jahren alle Regeln aufgehoben zu sein. Modetrends lösten sich immer schneller ab, Trendscouts suchen weltweit nach neuen Ideen und alles musste Spaß machen in der Fun-Gesellschaft der 90er Jahre.“[3]

Es war als hätte die Revolte von 68 endlich ihren kulturellen Höhepunkt gefunden – und das war nicht ganz falsch. Der alles entscheidende Unterschied aber war, dass das alles nicht umsonst zu haben war, selbst wenn man dafür scheinbar nichts bezahlen musste. Bezahlt wurde der Spaß durch Werbung, Sendeerlaubnisse und Sponsoring. Das Sportsponsoring bildet heute einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor und generiert in Deutschland jährlich ein Geschäftsvolumen von mehr als 3 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Neben den großen Unternehmen sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen wichtige Träger des Sponsoring. Sie stellen ca. 50 Prozent des Sponsoringvolumens bereit. Die Branche ist seit Jahren im Aufschwung und heute fester Bestandteil im modernen Kommunikations- und Marketingmix der Unternehmen weltweit. Ganz davon abgesehen, dass das Publikum den finanziellen Aufwand durch die eigene Lohn- und Mehrwertsteuer finanziert, verbirgt sich hinter den sportlichen oder öffentlichen Events ein erheblicher, ökologisch schädlicher Material- und Energieaufwand.

 

Die Rückkehr der Eigentumsfrage

Abgesehen davon, dass die Begrenzung des Ausstoßes von CO2 bisher in keinem der Industrieländer auch nur ansatzweise erreicht wurde, geht es eigentlich weniger um Begrenzung, als um Verringerung der Treibhausgase. Das aber verlangt in den Industrieländern letztlich einen radikalen Rückbau und nicht nur Umbau der Warenproduktion. Wie aber soll das geschehen, so lange die Produktion nicht von der Politik, sondern vom weltweiten Renditehunger des Kapitals vorangetrieben wird? Noch nie hatte das Kapital die Welt stärker im Griff als heute. Und das auf doppelte Weise: Einmal weil es sich in den Händen einer verschwindend kleinen Clique befindet und zum anderen, weil es sich von allen politischen, regionalen und kulturellen Einflüssen emanzipiert hat. Die nur 26 Individuen, die nach der jüngsten Oxfam-Studie die Hälfte des Weltkapital besitzen[2],  lassen sich in ihrem Handeln letzten Endes durch nur einen einzigen maßgeblichen Faktor leiten, nämlich die zu erwartende Rendite. Unabhängig von ihren durchaus vorhandenen philanthropischen oder sozialen Engagements, haben die Kapitaleigner wie bereits Marx ironisch anmerkte, einen „horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit…mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft: 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens."[3] Wobei man realisieren muss, dass die

 

Kapitaleigner zu Marx Zeiten immer noch wahrnehmen konnten, zu welchen sozialen Verwerfungen ihre Jagd nach Rendite führte. Die modernen Vermögenseigentümer dürften dagegen kaum ahnen, welche sozialen Folgen und erst recht nicht welche ökologischen Katastrophen ihre Renditeerwartungen auslösen. Dementsprechend handeln die großen Vermögensbesitzer auch nicht unmoralisch, sie sind amoralisch und haben wohl möglich sogar Hochachtung vor dem Engagement von Friday for Future.

 

Dass die Klimapolitik an der modernen Eigentumsfrage scheitert, wird jedoch kaum diskutiert, weil das Klima eine Angelegenheit der Naturwissenschaften zu sein scheint. Tatsächlich aber geht es nicht um Natur-, sondern um Gesellschaftswissenschaft. Und das auch nicht in dem weit verbreiteten Sinne, dass die Gesellschaft ökologisch denken lernen muss, sondern mit der Absicht, die globale Eigentumsfrage neu zu stellen. Neu deshalb, weil es schier unmöglich scheint, die zitierten 26 Individuen auf die gleiche Weise zu enteignen, wie das noch im vergangenen Jahrtausend möglich war. Wie etwa enteignet man einen chinesischen Multimilliardär, der über verschiedene Fonds deutsche BMW-Aktien besitzt oder wie enteignet man einen saudiarabischen Staatsfonds, der Aktien von Krupp-Thyssen hält? Ganz zu schweigen vom weltweit führenden Vermögensverwalter Blackrock, der ein Vermögen von 6,2 Billionen Dollar verwaltet, knapp doppelt so viel wie das jährliche Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik. Seine über 5.000 Rechner führen mit ihren Algorithmen gestützten Programmen pro Woche Hunderte Millionen Kalkulationen aus, um das Vermögen ihrer Anleger automatisch zu erhöhen.[4] Dementsprechend alarmierend ist deshalb die Nachricht, dass ausgerechnet der zurück in die Politik gewechselte Friedrich Merz, ehemals Mitglied der Blackrock-Geschäftsführung, inzwischen als nächster CDU-Kanzlerkandidat gehandelt wird.   

 

Es ist zwar schwer vorstellbar, wie das weltweit herumvagabundierende Kapital unter den beschriebenen Bedingungen enteignet werden kann, doch eigentlich geht es bei der Abwendung der Klimakatastrophe zunächst einmal nicht um Eigentumstitel, sondern um die unbegrenzte Verfügungsgewalt des Kapitals über Natur und Gesellschaft. Diese Verfügungsgewalt aber ist keine Eigenschaft des Kapitals, sondern wurde ihm durch die neoliberale Politik ebenso eingeräumt, wie sie die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge vorantrieb, Kapitalsteuern senkte und den Finanzmarkt deregulierte. Dem Klima würde die Rückabwicklung der neoliberalen Modernisierung wahrscheinlich mehr nutzen, als die Besteuerung des CO2-Ausstoßes.  

Harald Werner, 14.6.19

 


[1] Karl Marx, Das Kapital Kritik der politischen Ökonomie, MEW 23, S.49

[2] MEW Band 23, S.618+

[4] ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 643



[1] WSI-Herbstforum 2008

[2] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/oxfam-studie-vermoegen-der-milliardaere-waechs

[3] Karl Marx, Das Kapital, MEW 23, S.788

[3] http://www.20jahrhundert.de/neunziger-jahre.html

[3] ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 643

 

 

 

 


[angelegt/ aktualisiert am  14.06.2019]