Harald Werner - Alles was links ist
 

Von Gutenberg zu social media  

Für Marxisten gehört es zur Grunderkenntnis, dass die Entwicklung der Produktivkräfte die Produktionsverhältnisse umwälzt und mit ihnen das gesellschaftliche Bewusstsein. Neu bei unserem Autor ist, dass er sein Augenmerk auf die Umwälzung der Kommunikationstechnologie konzentriert. Dass er dabei, mit der Erfindung der beweglichen Buchstaben durch Gutenberg im ausgehenden Mittelalter beginnt und nicht mit der Massenkommunikation des 19. Jahrhunderts oder den elektronischen Medien des 20. Jahrhunderts, scheint zunächst ungewöhnlich. Doch Gutenberg hat keine geringere Kommunikationsrevolution ausgelöst, als die Erfinder der Netzkommunikation. Vor ihm lag das Monopol für die Entwicklung des Wissens, wie auch deren Weitergabe in den Händen der Kirche. Sie besaß ein uneingeschränktes Monopol auf das Studium, die Weitergabe und vor allem die Auslegung der in Jahrtausenden entstandenen Schriften.  Eine Öffentlichkeit, die das verbreitete Wissen in Frage stellen könnte, gab es nicht. Natürlich fanden nicht nur innerhalb der Theologie scharfe[H W1]  Auseinandersetzungen über die Auslegung der Schriften statt, sondern auch mit der sich allmählich entwickelnden Naturwissenschaft. Doch erstens spielten sie sich hauptsächlich hinter den Mauern der Klöster oder in den wenigen Universitäten ab und zweitens beschränkte sich die Kommunikation auf das zeitaufwendige Verfassen von Handschriften, die nur einer verschwindend kleinen Minderheit zugänglich waren und auch nicht vervielfältigt werden konnten. Die Erfindung des Buchdrucks, der Druck der ersten Bibel und ihre spätere Übersetzung in eine Alltagssprache hat eine Kommunikationsrevolution, die in ihrer Wirkung dem Internet in nichts nachsteht. Schlecky Silberstein bleibt nicht bei dieser Feststellung, er beschreibt die Folgen dieser Revolution:

 

„Plötzlich wurden die Bürger von unterschiedlichsten Druckerzeugnissen nahezu überrollt, von denen die Bibel nur eines unter vielen waren: Bücher, Pamphlete Traktate, Flugblätter, Satiren, Pornographie, alles war dabei. Jeder mit genügend Geld und Zugang zu einer Druckerpresse konnte vom konstruktiven Beitrag bis zum hirnverbrannten Wahnsinn alles in den Raum stellen, und schnell merkten die Zeitgenossen, dass man nicht nur Geschichten, sondern auch Denkanstöße publizieren kann. (…) Es gab weder Erfahrung im Umgang mit Massenpropaganda, noch gab es überhaupt Erfahrungen mit Druckerzeugnissen, es gab nur eines: Verunsicherung.(…) Zuerst ging es den alten Eliten an den Kragen: Die lutherische Bibelübersetzung brachte das Wort Gottes zu den kleinen Leuten, die daraufhin das Auslegungsmonopol der lateinisch gebildeten Geistlichen in Frage stellten. In der Folge tobten gerade in Deutschland unterschiedliche Religionskriege (…) Nie zuvor hatte Mitteleuropa eine solche Verwüstung gesehen. Zwischen 1517 und dem Westfälischen Frieden von 1648 schrumpfte die Bevölkerung von schätzungsweise 17 Millionen Menschen auf 10 Millionen.“[1]

 

Von da aus kommt man zwangsläufig zum Internet und vor allem zu den sozialen Netzwerken. Die Netzkommunikation hat in sehr wenigen Jahren einen Kommunikationsraum geschaffen, der es Millionen Individuen ermöglicht, ihre Meinung zu verbreiten, Themen zu setzen, zu mobilisieren und auch zu manipulieren. Nicht zu vergessen, dass die irrtümlich als „sozial“ bezeichneten Netze von den unterschiedlichsten Machthabern sowohl zur Manipulation, als auch zur Irreführung genutzt werden. Die Macht des IS und seine Terrorakte hätten sich ohne das Netz eben so wenig entwickeln können, wie der Rechtspopulismus oder die Irreführung der Wähler*innen durch Fake News. Zuweilen wird den sozialen Medien zugetraut, demokratische Bewegungen oder gar Revolutionen wie im arabischen Frühling auszulösen. Dabei wird leider übersehen, dass auch das Gegenteil der Fall ist. Die Herrschenden wissen durch die Ausforschung der Netze in der Regel lange vor ihren Gegnern was da auf sie zukommt und wen sie hinter Gittern bringen müssen, wenn es tatsächlich zu einem Aufstand kommt.

 

Das Internet wird nicht mit Bits angetrieben, sondern durch Geld

Marx bemerkt mehrmals, dass der Kapitalismus nur insofern die Entwicklung der Produktivkräfte vorantreibt, wie sie der Kapitalakkumulation dienen. So schreibt denn auch unser Autor: „Wenn Sie den Kreislauf des Geldes verstehen, das jeden Tag durch das Internet fließt, dann können Sie sich die größten Probleme der Digitalisierung schon fast selbst herleiten.“[2] Internetkonzerne generieren nicht nur selbst sagenhafte Renditen, sie entwickeln auch Hard- und Software hauptsächlich zur Steigerung der Kapitalakkumulation. Wenn sich die Rechnerleistung alle 18 bis 24 Monate verdoppelt, dann liegt das weniger an der Erfindermentalität der Soft- und Hardwareproduzenten, als an den immer komplexeren Programmen zur Profitmaximierung. Im Kern geht es um das was man irreführend künstliche Intelligenz nennt, im Kern aber nichts anderes bedeutet, als eine immer größere Menge an Daten miteinander in Verbindung zu setzen. Seien es Informationen über Finanztransaktionen und Wertschwankungen oder Nutzerdaten aus den sozialen Netzwerken. Das Prinzip ist so alt wie die altbekannte Sozialforschung und noch ältere Statistik, bei der nach Zusammenhängen zwischen verschiedenen Merkmalen, etwa zwischen Bildungsabschluss und Einkommen gesucht wird. Mit der digitalen Technik lassen sich aber nicht nur Zusammenhänge zwischen zwei oder auch mehr Merkmalen errechnen und es wird auch nicht nur eine große Studie mit mehr als Tausend Teilnehmern durchgeführt, sondern die Zahl der ausgeforschten Personen zählt nach Millionen und die von ihnen erhobenen Merkmale nach Tausenden. Gleichzeitig wird die Datei ständig erweitert und durch neue Merkmale ergänzt, so dass eine dynamische Datenbank entsteht, mit der eine zielgenaue Werbung betrieben werden kann, Parteien präzise ihr Wählerpotenzial ansprechen und Geheimdienste ständig mehr über uns erfahren, als uns lieb sein kann.

 

Sieht man einmal von den Geheimdiensten ab, werden mit dem Handel der erhobenen Daten Milliarden verdient. Und zwar nicht nur von denen die die Daten verkaufen, sondern auch von ihren Kunden. Präziser als es je eine klassische Marktanalyse vermochte, erfahren die werbenden Unternehmen wo und wie sie ihre Kunden erreichen können, an welche Wünsche angeknüpft werden muss und wie Unternehmen ihre Produkte zu gestalten haben. Besonders erfreulich, sowohl für die Datensammler, als auch für die Käufer ist, dass die ausgeforschten Bürger ihre Daten selber liefern. Wo und aus welchem Grund auch immer jemand ins Internet geht, hinterlässt er eine ungeheure Menge an Informationen über seinen Konsum, seine Wünsche und Ängste und sogar über seine Zahlungsfähigkeit. Sicher wissen unsere Verwandten und nahen Freunde deutlich weniger über uns und wahrscheinlich kennen auch wir uns selbst nicht so gut, wie die uns ausforschenden Datenkraken.

 

Dass das Internet eine Maschine zur Geldvermehrung ist, dürften inzwischen wohl viele wissen. Weniger bekannt ist dagegen, dass auch Millionen Nutzer oder Betreiber von eigenen Seiten am Internet verdienen. Wer auch immer eine Webseite betreibt, kann mit ihr Geld verdienen. Es reicht die eigene Seite mit einem Link oder Banner zu versehen, der auf ein bestimmtes Produkt hinweist, und wenn auch immer jemand dieses anklickt, weiß der dazu gehörende Onlinehändler, wem er den dann folgenden Kauf zu verdanken hat und überweist dem Seitenbetreiber eine kleine Provision. Weit verbreitet ist inzwischen auch, dass Menschen bei YouTube mit ihrem Bild für Produkte werben, was sogar als Werbung gekennzeichnet wird, und dabei kräftig Kasse machen. „Laut einer Preistabelle, die der Süddeutschen Zeitung im Februar 2015 vorlag, erhielt die damals 25jährige YouTuberin Nilam Farooq alias >daaruum< 12.800 € pro Kooperation."[3]

 

Der Social-Media-Nutzer in der Filterblase

Es ist allgemein bekannt, dass sich im Netz auch jede Menge Spinner, Verschwörungstheoretiker und andere unangenehme Zeitgenossen tummeln. Google und Facebook wissen das und haben ihre Freude dran. Nicht weil sie diese Zeitgenossen mögen, sondern weil sie zu den häufigsten Nutzern gehören. Facebook & Co interessiert nicht im Geringsten wer sich worüber auf den Plattformen ausbreitet, Hauptsache er macht es möglichst häufig, damit sich die Datenbanken aktualisieren und die Algorithmen neue Korrelationen finden. Dabei kommt den Datensammlern das natürliche menschliche Bedürfnis nach Kommunikation und Anerkennung zugute, das sich umso stärker entwickelt, je weniger es moderne das Alltagsleben zu befriedigen vermag. So surft man etwa bei Facebook nach interessanten Beiträgen, antwortet auf einen Post, bekommt umgehend die Antwort „gefällt mir“ und befindet sich unversehens in einer Gesinnungsgemeinschaft. Denn wer möchte nicht gefallen, unversehens „Freunde“ gewinnen. Im Alltag hört einem kaum jemand zu, doch in einer solchen Gemeinschaft hat man schnell Hunderte oder gar Tausende davon. Und natürlich möchte man weiter gefallen, Likes einsammeln und möglichst häufig spüren, wie das Handy in der Tasche vibriert. Dieser Einstieg in ein Suchtverhalten ist freilich nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass man sich in dieser „Filterblase“ von Gesinnungsfreunden nur „Freunde“ schafft, wenn man sich dem Mainstream anpasst, immer zugespitzter formuliert, schließlich auch anders denkt und zum viel zitierten Wutbürger oder auch „Soldat des Islamischen Staates“ wird. Schlecky Silberstein erinnert in dem Zusammenhang an den norwegischen Amokläufer Breivik, der in 75 Minuten 67 Menschen ermordete.

 

„Nach seiner Festnahme stellten die Behörden seinen Computer sicher und analysierten unter anderem auch seinen Facebook-Verlauf. Die Welt, die sich den Ermittlern dort auftat, war ein rassistisches Paralleluniversum, in dem nur Menschen zu leben schienen, die sich auf den nächsten Kreuzzug vorbereiten. Angst, Hass und Rassismus kennzeichneten das Umfeld, in dem Breivik sich bewegte. Angesichts der Hassblase, in der sich Breivik vor dem Amoklauf über Jahre befand, war seine Tat gar nicht mehr so überraschend.“[4]

 

Überraschend aber ist die Parallele zwischen der durch Gutenbergs Erfindung ausgelösten Informationsrevolution sowie das entstandene Meinungschaos und den unbeabsichtigten Folgen der Entwicklung angeblich sozialer Netzwerke. Was man freilich nicht dem Internet anlasten kann, sondern den angeblich sozialen Netzen und natürlich dem profitablen Datenhandel.

Harald Werner 2.09.2018

  

 


[1] Schlecky Silberstein, „Das Internet muss weg“, München 2018, S.10f

 

[2] ebenda S.25

[3] Silberstein a.o.O. S.35

[4] a.o.O. S.80


 [H W1]seinander


[angelegt/ aktualisiert am  01.09.2018]