Harald Werner - Alles was links ist
 

Bruch mit einem Jahrhunderte alten Geistesleben

Sprachlich gesehen sagt der Begriff Postmoderne lediglich aus, dass es sich um eine Epoche nach der Moderne handelt, so wie man vergleichsweise vom Postfordismus oder vom Postsozialismus spricht. Es wird damit nicht beschrieben, was mit diesem „Post“ gemeint ist, sondern nur, dass eine Poche endgültig beendet ist. Was die Postmoderne wirklich ist, wird erst deutlich, wenn man in Augenschein nimmt, wovon sie sich verabschiedet. Sie vollzieht nämlich einen radikalen Bruch mit der Ideenwelt der Aufklärung, nämlich der Verwissenschaftlichung menschlicher Praxis und der Überzeugung, dass sich die menschliche Gesellschaft durch Vernunft und Rationalität weiterentwickelt. Besonders entschieden drückte das bereits Immanuel Kant aus, als er 1784 schrieb: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt…“[1] Der Kapitalismus hat sich in Deutschland erst lange nach Kant entwickelt, und auch ganz unterschiedliche Formen angenommen, doch bei allen Irrungen und Wirrungen seiner Geschichte, hat sich die Ideenwelt der Aufklärung immer wieder durchgesetzt.

 

Auch die Postmoderne hat nicht nur eine lange Vorgeschichte, sondern wandelt sich ebenso permanent wie die neoliberale Ökonomie. Zweifel an den Ideen und Prinzipien der Aufklärung, vor allem an ihrem Fortschrittsglauben, hat es immer schon gegeben, doch sie begrenzten sich auf die intellektuelle Diskussion, während die Postmoderne immer stärker in das gesamte gesellschaftliche Leben und die Alltagskultur hineinwirkt.

 

 Schon in den 1970er Jahren wurde der Glaube an einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Fortschritt durch die Krise der sozialstaatlichen Regulierung und die zunehmende Störung der ökologischen Kreisläufe erschüttert. Große Teile der kritischen Intelligenz wechselten von der Kapitalismuskritik zur grundlegenden Kritik des technischen Fortschritts und stellten die Möglichkeiten einer von Vernunft geleiteten menschlichen Entwicklung und die Rationalität der Wissenschaft in Frage. Der letztlich entscheidende Grund sich vom Glauben an eine sich weiter entwickelnde menschliche Gesellschaft zu verabschieden, war aber dann der blamable Niedergang des sozialistischen Weltsystems. Intellektuelle wie Francis Fukuyama diagnostizierten das „Ende der Geschichte“ und verbreiteten die These, dass es nicht nur mehr keine Weiterentwicklung gab, sondern sich alles in der Geschichte beliebig wiederholt und der gesellschaftliche Wandel von Zufällen abhängt.

 

Man hätte diese Weltsicht für eine intellektuelle Marotte halten können, doch sie deckte sich auf wundervolle Weise mit den grundlegenden Prinzipien der neoliberalen Ökonomie. Wo die Postmoderne jede Möglichkeit leugnete, die Geschichte durch Vernunft zu gestalten, lehnte der Neoliberalismus jeden gesellschaftlichen Eingriff in den sich selbst organisierenden Markt ab, weil er seit Adam Smith als das einzige zur Verwirklichung des „Reichtums der Nationen“ anerkannte Instrument sei. Wenn es denn Entwicklung gäbe, so die Ideologie des Neoliberalismus, dann nur auf der Grundlage des bestehenden Wirtschaftssystems, dem Zurückdrängen des Staates, der von der Marktnachfrage bestimmten technologischen Entwicklung und des freien Kapitalmarktes. Es sind die gleichen Prinzipien, wie im Weltbild der Postmoderne: Es gibt nichts Neues unter der Sonne, die Geschichte ist an ihrem Endpunkt angelangt und von nun an besteht Fortschritt nur noch aus der Entwicklung vielfältiger Neuigkeiten.

 

Das Prinzip der Beliebigkeit gesellschaftlicher Entwicklung

Kein Prinzip bringt den Kern der postmodernen Ideologie besser auf den Punkt, als der Begriff „Anything goes“. Keine soziale, kulturelle, politische oder technologische Erneuerung ist ausgeschlossen. Wobei allerdings anzumerken wäre, dass in der neoliberalen Realität natürlich alles ausgeschlossen ist, was keinen Profit bringt oder ihn sogar schmälert. Im theoretischen Gebäude der Postmoderne ist auch nicht alles möglich, denn alles was zum Kern der Aufklärung gehört wird radikal verworfen.In seinen extremsten Formen… bestreitet dieses Denken, daß es die Erkenntnis von Zusammenhängen, eine Theorie gesellschaftlicher Totalitäten, eine Philosophie der Geschichte, ja wahre Erkenntnis überhaupt geben kann. Damit entfällt logischerweise auch das Denken gesellschaftlicher Ursachen und Veränderungen, ja der Begriff geschichtlichen Fortschritts, in welcher Form er auch gefaßt sein mag. Auch politisch-ethische Begriffe wie Freiheit, Emanzipation, Utopie, die Unterscheidung des Guten und Bösen geraten unter das Verdikt illusionären oder falschen Bewußtseins.“[2]

 

Es ist unverkennbar, dass sich die Postmoderne damit weniger offen gegen die Aufklärung, als erstens gegen das marxistische Denken und zweitens gegen alle Sozialwissenschaften wendet, die sich dem Ziel einer Zivilisierung und Verbesserung der menschlichen Gesellschaft verpflichtet fühlen.

 

Die Postmoderne in der Kunst und im Alltag

Wahrscheinlich hat sich eine philosophische und auch auf die Politik auswirkende Theorie noch nie so auf das Alltagsbewusst ausgewirkt wie die Postmoderne. Was vor allem der Mediengesellschaft zu verdanken ist, in der Fernsehen und Internet zur eigentlichen, für die Menschen erfahrbaren Wirklichkeit geworden sind. Ein Medienexperte fasste das in einem ebenso kurzen wie ernüchternden Satz zusammen: „Was nicht im Fernsehen war, hat einfach nicht stattgefunden.“ Keine sinnliche Wahrnehmung hat größeren Einfluss auf das Alltagsbewusstsein der Menschen als das Bild, insbesondere das bewegte und auch kommentierte Ereignis auf der Mattscheibe. Nun ist das Fernsehen weitaus mehr, als eine Nachrichtenquelle, sondern es gibt keinen Wirklichkeitsbereich, der hier nicht präsentiert, kommentiert und vor allem ästhetisch gestaltet wird. Die Auswahl aber der Inhalte, ihre Einordnung und moralische Bewertung liegt in den Händen von Menschen, die ihre Maßstäbe und Weltvorstellungen überwiegend dem intellektuellen Mainstream, und damit auch dem postmodernen Diskurs verdanken. Die vom postmodernen Denken beeinflusste Kultur aber entspricht genau dem, was die Intellektuellen Eliten an den Universitäten lehren, und was die so „belehrten“ Absolventen später in die die Produktion von Romanen, Theaterstücken und Filmen, aber sogar noch in die Inszenierungen von Events oder gar in das Rahmenprogramm von Sportveranstaltungen einfließen lassen. Diese Inszenierungen leben von der kreativen Kombination unterschiedlichster optischer und stilistischer Effekte, es spielt keine Rolle mehr, woher sie eigentlich stammen – nur neu müssen sie sein und das Publikum verblüffen.  Das Credo dieser neuen Unterhaltungskultur brachte niemand besser auf den Punkt als der RBB mit seinem Slogan „Bloß nicht langweilen“. So muss jede neue Inszenierung das Gewohnte überbieten, den tristen Alltag vergessen machen und dem Publikum eine scheinbar unüberbietbare Show präsentieren.

 

Natürlich muss man sich fragen, welche Triebkräfte hinter dieser Entwicklung wirken. Die Wichtigste scheint wohl zu sein, dass die unterschwellige Irrationalität und die von der Alltagsrealität entfernten Inszenierungen durchaus mit dem Alltagsbewusstsein übereinstimmen. Die Menschen empfinden alltäglich, dass die Welt aus den Fugen geraten ist, dass sie nicht mehr begreifen, wohin die Reise geht und es keine Möglichkeit für gesellschaftlichen Wandel zu geben scheint, sondern nur ziellose Veränderung zu erwarten ist. Insofern ist die Postmoderne keine von außen ins Alltagsbewusstsein hineingetragene Ideologie, sondern sie bestätigt lediglich die alltägliche Erfahrung der Menschen. Der zweite Punkt aber ist, dass es sich bei dieser Spaßgesellschaft um einen immer größeren und profitablen Geschäftsbereich handelt. Wo der materielle Konsum aus finanziellen Gründen kaum noch zu erweitern ist, fließt eben immer mehr Kapital in die Unterhaltung.

 

Literatur:

Erich Hahn, Zur Kritik der Postmoderne, Z-Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Heft 38, S. 175-190

Thomas Metscher, Postmoderne und imperialistische Gesellschaft, Z. Nr.62, 2005

Werner Seppmann, Zivilgesellschaft und postmodernes Bewusstsein, 2002

Werner Seppmann, Subjekt und System, Lüneburg 1993

 

 

Harald Werner 15. Mai 2018                                 

 


[1] Immanuel Kant, Auswahl, Berlin 1925, S.29


[angelegt/ aktualisiert am  16.05.2018]