Harald Werner - Alles was links ist
 

Die Ursachen hinter den spektakulären 68er Ereignissen

„Man muss Alexander Dobrindt fast dankbar sein“, schreibt Albrecht von Lucke in den Blättern für deutsche und internationale Politik „nämlich dafür dass er mit seinem ambitiösen Plädoyer gegen`68` ein Diskussion um die geistige Verfassung der Republik entfacht hat (….) Ohne Dobrindts Provokation wäre der Auftakt dieses – immerhin 50.- Jubiläums vermutlich recht leise ausgefallen."[1] Dabei geht es freilich weder um ein würdevolles oder auch kritisches Gedenken an 1968, sondern um eine Vergewisserung über das tatsächliche Geschehen, sowie seine vergessenen Ursachen und angeblichen Folgen. Wobei die von Lucke erwähnte „geistige Verfassung der Republik“ ohnehin von einem erinnerungslose Vergessen geprägt ist und historische Epochen weniger analysiert als medial nachinszeniert werden. Letzteres wäre im Fall der 68er Revolte leicht zu haben, weil sie vor allem rasante Bilder und reißerische Schlagzeilen produzierte und man schon relativ viel lesen muss, um dem eigentlichen Geschehen auf den Grund zu gehen.

Die brennenden Autos des Springerverlags, die Massenproteste und brutalen Polizeieinsätze machen nur allzu leicht vergessen, was tatsächlich geschehen ist, zwischen dem 2. Juni, als Benno Ohnesorg ermordet und ein knappes Jahr später Rudi Dutschke niedergeschossen wurde. Überhaupt machen die spektakulären Ereignisse leicht vergessen, was die 68er Revolte auslöste, was tatsächlich geschehen ist und welche Spuren die Revolte hinterließ. Man sollte die Bilder der Revolte nämlich nicht mit ihren Ursachen und Folgen verwechseln. Zunächst darf man sich erinnern, worauf sich die Adenauer-Republik gründete und womit sich die 68er nicht mehr abfinden wollten. Mit der Tatsache zum Beispiel, dass die Wiederbewaffnung der BRD von ehemaligen Nazi-Offizieren organisiert wurde, die sehnlichst in den Besitz von Atomwaffen kommen wollten, dass niemand von Hitlers Blutrichtern auf die Anklagebank kam, sondern alle in Frieden ihre Pension kassieren durften. Oder dass Franz-Josef Strauß die Leitung der SPIEGEL-Redaktion ins Gefängnis brachte, weil sie sich kritisch mit der NATO-Strategie beschäftigte und nicht zu vergessen, dass der Bundestag 1966 einen Kanzler wählte, der nicht nur früh schon Mitglied der NSDAP geworden war, sondern auch hochrangiger Beamter unter Goebbels werden konnte. Und dann der heftige, vor allem von Intellektuellen und Gewerkschaftern angestoßene Protest gegen die Notstandsgesetze, mit denn erstmals das Grundgesetz ausgehöhlt werden sollte. Das war keine „Rebellion der Eliten“, wie Dobrindt und die AfD glauben möchten, sondern es war vor allem die Rebellion einer Jugend, die sich gegen die vom Faschismus geprägte Elite auflehnte. Und es waren eben auch Tausende Arbeiter, die im September ´69 gegen den Willen ihrer Gewerkschaftsführung „wilde Streiks“ organisierten und bei den ersten Betriebsratswahlen nach ´68 ganz andere, nämlich eher linke Interessenvertretungen wählten. Anders als es die AfD und Dobrindt gerne glauben machen möchten, war ´68 also keine Revolution der Eliten, sondern ein Aufstand gegen das konservative, vom Faschismus geprägte Establishment.

 

1968 als Suchbewegung

Die im zweiten Drittel der 1960er Jahre entstehende Apo wusste zunächst nur wogegen und kaum wofür sie sie eigentlich war. Bevor sie zu einer linken Bewegung wurde, war sie vor allem eine antiautoritäre. Ihr linkes Potenzial war zunächst relativ klein und der Westberliner SDS zählte 1967 nicht mehr als 300 Mitglieder. Marx beschreibt ironisch im „18te Brumaire“ wie sich revolutionäre Bewegungen häufig in die „Kostüme der Vergangenheit“ kleiden und in einer „erborgten Sprache“ die Zukunft gestalten wollen.[2] Auch die Rebellion der 68er war nicht frei davon, sich ihre Identität außerhalb der eigenen Wirklichkeit zu suchen. Man identifizierte sich mit dem Vietcong, mit Mao oder Che Guevara und wähnte sich an der Seite der Tupamaros oder von Arafat, dem politischen Führer der Palästinenser. Es war eine zwar erborgte aber durchaus sinnstiftende Identität, weil die 68er Widerstand und Solidarität zu einer bis heute lebendigen Grundhaltung machten. Das Gleiche beim Bruch mit den tradierten bürgerlichen Werten, der Enttabuisierung der Sexualität und mit der Parole „das Private ist politisch und das Politische ist privat.“ Wenn die AfD dem „links-rot-grün verseuchten 68er Deutschland“ den Kampf ansagt, dann meint sie genau das, was unabhängig von den damit gemeinten Parteien, das 68er Deutschland auszeichnete, nämlich die Liberalisierung der Lebensweise, die Enttabuisierung des Sexuellem und die Entgrenzung der Solidarität. Die neue Rechte positioniert sich nicht mehr gegen Links – diese Schlacht hatte sie noch in den 1970er und 1980er Jahren geschlagen. Heute geht es um die Deutungshoheit eines neuen Konservatismus und das Zurückkrebsen in die Zeit vor 1968.

 

AfD und CSU wollen, „ihr Volk“ wiederhaben

Für die rechtskonservative Mitte ist es der 68er Generation gelungen, das bürgerliche Wertesystem zu zerstören, die staatliche Autorität zu untergraben und vor allem das Volk auf einen falschen Weg zu lotsen. Wie alle Rechtspopulisten ist die AfD davon überzeugt, dass das Volk an sich gut aber von den linken Eliten verführt ist. Niemand brachte das besser auf den Punkt als Alexander Gauland, als er nach der Bundestagswahl verkündete: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Und noch deutlicher Andreas Kalbitz, der Fraktionsvorsitzende der AfD Brandenburg: „Wir wollen kein Stück vom Kuchen, wir wollen die Bäckerei. Die AfD ist die konservative Konterrevolution gegen 68, gegen das, was unser Land zerstört hat.“[3] Dass es dabei um nicht weniger als eine „konservative Revolution“ geht, meint auch Alexander Dobrindt wenn er sich an die Seite der AfD stellt und verspricht: „Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“[4] Schwer zu sagen, worüber man bei solchen Bekenntnissen erschrockener sein sollte. Über den Schulterschluss zwischen dem CSU Spitzenmann Alexander Dobrindt und der AfD oder der Gutwilligkeit, mit der die AfD in den Medien,  vor allem im Fernsehen, wie eine staatstragende Partei behandelt wird.

Harald Werner 19. März 2018

 


[1]

[2] Karl Marx, „Der 18te Brumaire des Louis Napoleon“, MEW 8, S.115

[3] Albrecht von Lucke a.o.O. S.43

[4] Ebenda


[angelegt/ aktualisiert am  19.03.2018]