Harald Werner - Alles was links ist
 

Der verwirrende Rausch der Technik und die ernüchternden Tatsachen    

Zunächst bleibt festzuhalten, dass jeder Kapitaleinsatz auf die Produktion eines Mehrwerts zielt, gleichgültig von der dazu eingesetzten Technik und unabhängig von der Organisation der Arbeit. Trotzdem hat schon immer jede technische Revolution den Mythos entstehen lassen, dass sie über den Kapitalismus hinaustreibt oder die neue Technik mit dem Sozialismus schwanger geht. Für dieses Missverständnis gibt es mindestens zwei Ursachen: Erstens die von allen neuen Techniken ausgelöste Euphorie und zweitens eine gewisse Blindheit, nicht nur gegenüber den tatsächlichen Triebkräften des Kapitalismus, sondern auch hinsichtlich seiner ungeheuren Wandlungsfähigkeit. Wir kennen den von Marx beschriebenen Geld- und Warenfetischismus, der aus der Illusion entsteht, dass Geld- und Ware mit einer eigenen Naturkraft beseelt sind, obwohl sie lediglich Ergebnisse des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses sind und kein davon unabhängiges Eigenleben führen. Dem gleichen Irrtum unterliegen das Alltagsbewusstsein und Teile der Wissenschaft, wenn es um technische Artefakte geht. Sie erscheinen ihnen nicht als Ergebnisse des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, sondern als eine eigenständige Naturkraft, die den gesellschaftlichen Arbeitsprozess gewissermaßen von außen bestimmt. Und diese Illusion entsteht umso mehr, je faszinierender die Wirkung einer neuen Technologie auf den gesellschaftlichen Arbeitsprozess und die Alltagspraktiken.  

Die ganze Blindheit von Industrie 4.0 beginnt bereits mit der modischen Namensgebung, als einer 4. Version industrieller Entwicklung. Seit Beginn der Manufakturperiode, über die Entwicklung von Werkzeugmaschinen, die Entwicklung von Kraftmaschinen und Fließfertigung bis hin zum ersten verwendungsfähigen Computer, gab es rund ein Dutzend industrieller Revolutionen, die jeweils eine neue Etappe kapitalistischer Produktion und Akkumulation hervorbrachten. Und was noch wichtiger ist: Nicht die Technik hat jeweils neue Etappen kapitalistischer Produktion hervorgebracht, sondern umgekehrt: Immer wenn die Profitproduktion in eine Krise geriet und die Akkumulation des Kapitals stagnierte, begann eine fieberhafte Suche nach neuen Technologien, deren Weiterentwicklung den tendenziellen Fall der Profitraten aufzuhalten versprach. Denn bei näherer Betrachtung von wissenschaftlicher und technischer Entwicklung zeigt sich stets, dass die neuen Entdeckungen auch für zahllos unterschiedliche und auch gegensätzliche Anwendungen offen waren. Das Kapital aber fördert jeweils nur jene technischen und wissenschaftlichen Weiterentwicklungen, die seinen Mehrwerthunger zu befriedigen versprechen. Im entscheidenden Maße durch die Einsparung von Arbeitskosten, aktuell aber mehr noch durch die Produktion neuer Bedürfnisse und die Erschließung neuer Märkte.

 

Formen der Akkumulation und Regulation des Kapitalismus

Die kapitalistischen Epochen unterscheiden sich nur auf der Oberfläche durch unterschiedliche Produktionstechniken und damit produzierte Güter. Doch der Augenschein trügt, weil der eigentliche Unterschied ökonomischer und sozialer Natur ist. In der jüngeren marxistischen Diskussion wird deshalb von unterschiedlichen Akkumulations- und Regulationsformen gesprochen. Damit ist gemeint, dass sich die kapitalistischen Entwicklungsphasen sowohl durch die Formen der Profitproduktion, als auch durch die Regulierung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit oder die Rolle des Staates unterscheiden. So zeigt die Geschichte des Kapitalismus expansive Phasen, in denen sich die Akkumulation des Kapitals hauptsächlich auf imperialistische Eroberungen stützt und andere, die sich auf die Intensivierung der Produktion, die Einsparung von Ressourcen oder die Erschließung des Binnenmarktes konzentrieren. Entsprechend unterschiedlich fielen die Regulation der Beziehungen von Kapital und Arbeit sowie des Verhältnisses zwischen Kapital und Staat aus. Natürlich unterscheiden sich diese verschiedenen Akkumulationsformen auch in ihrer Technik, aber diese Unterschiede wurzeln in den unterschiedlichen Akkumulations- und Regulationspraktiken – letztlich also in den aktuellen Bedürfnissen des Kapitals.

In den 1960er Jahren entstand in der marxistischen Diskussion der Begriff des staatsmonopolitischen Kapitalismus, womit gemeint war, dass der Staat verstärkt, den Bedürfnissen der Monopole entsprechend, sowohl die Akkumulation des Monopolprofits förderte, als auch im Interesse des Kapitals die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie vorantrieb. Wobei in dieser Zeit ein anderer Faktor hinzukam. Unabhängig von den aktuell ökonomischen Bedürfnissen der Monopole war es vor allem das Wettrüsten, das technologische Revolutionen hervorbrachte. Sowohl die friedliche Nutzung der Kernenergie, als auch das Internet sind nicht aus der Wissenschaft selbst oder aus der Technikentwicklung entstanden, sondern aus dem Wettbewerb um militärische Überlegenheit. Und dieser machtpolitische Faktor verbirgt sich auch hinter vielem, was scheinbar der industriellen Revolution geschuldet ist. Der „Cyber-Krieg“ und der „Krieg gegen den Terrorismus“ ist längst schon zu einem wichtigen Geschäftszweig der digitalen Wirtschaft geworden.

 

Der eigentliche industrielle Paradigmenwechsel

Von Beginn an war die kapitalistische Entwicklung von zwei Tendenzen geprägt. Einerseits von einer zunehmenden Konzentration des Kapitals in wenigen Händen und andererseits von einer Zentralisation der Produktion. An der wachsenden Konzentration des Kapitals hat sich bis heute nichts geändert, wohl aber an der Zentralisierung der Produktion. Am Ende dieser Jahrhunderte währenden Entwicklung und vor allem auf dem Höhepunkt des fordistischen Akkumulationsregime, waren riesige Monopole entstanden, die den gesamten Wertschöpfungsprozess zu beherrschen trachteten, von der Gewinnung der Rohstoffe über die komplette Fertigung bis hin zum Endprodukt und dem Absatz immer zahlreicherer Produkte. Diese Fertigungskette wurde umso unproduktiver, je mehr sie hochproduktive und nichtproduktive Bereiche zugleich miteinander verband. Gleichzeitig wuchsen aber die Kontroll-  und Regiekosten dieser Monopole, so dass sie nicht nur schwerfälliger, sondern, gemessen am Kapitalaufwand, auch unproduktiver wurden. Ein typisches Merkmal dieser Entwicklung war die Zunahme der Verwaltungsangestellten, die im schroffen Gegensatz zum kontinuierlichen Abbau der in der Produktion Beschäftigten stand. Denn Verwaltungsarbeit war nicht auf die gleiche Weise wie herstellende Tätigkeit zu reduzieren, weil es sich überwiegend um Kopfarbeit handelte. Während in der Produktion eine technische Rationalisierung die nächste jagte, gab es im gleichen Zeitraum nur äußerst wenige technische Neuerungen, die Arbeitskräfte in der Verwaltung einsparen halfen.

Dieser Trend war nicht unerheblich dafür verantwortlich, dass in den 1970er Jahren die Profitrate des Kapitals drastisch sank, seine Investitionsbereitschaft abnahm, das Gespenst der Arbeitslosigkeit zurückkehrte und die Staatsschulden zunahmen. Die fordistische Produktionsweise, der Sozialstaat und nicht zuletzt die Nachrageorientierung des Keynesianismus verloren zunehmend ihre Legitimationsbasis und machten Platz für einen ökonomischen Paradigmenwechsel, der in die neoliberale Deregulierung und die Rückkehr zum Wirtschaftsliberalismus mündete. Dabei ging es vor allem um zunehmende Konkurrenz, die Verschlankung der Produktion und die Konzentration der Betriebe auf ihre Kernkompetenzen. Und dies alles zusammengenommen beendete die über mehr als eineinhalb Jahrhunderte dominante Tendenz zur Zentralisation des Kapitals.

Die Konzentration des Kapitals in wenigen Händen blieb jedoch erhalten oder verstärkte sich sogar, aber die Epoche des klassischen Monopols ging ihrem Ende zu. Wo früher die Monopole die gesamte Produktions- und Wertschöpfungskette in einer Hand behalten wollten, gliederten sie immer mehr Betriebsteile aus, schufen selbständige Tochterunternehmen oder überließen sie anderen Monopolen. Doch die neue, von lokalen Standorten unabhängige Arbeitsteilung verlangte auch nach neuen Technologien. Am Anfang der neuen Betriebsweise steht die Konzentration eines Standortes auf Kernkompetenzen, was zweitens die Stückzahlen erhöht und drittens den Robotereinsatz erst rentabel macht. Doch die Spezialisierung stellt völlig neue Anforderungen an die Logistik. Die Transporte zwischen den Standorten erhöhen sich drastisch und es entsteht die so genannte Just in Time Produktion. Ein Autositz, der am Morgen in Wolfburg benötigt wird, muss am Abend in Dortmund fertig sein und über Nacht auf der Autobahn rollen. Robereinsatz und digitale Steuerung sowie intelligente Logistik aber verlangen nach immer leistungsfähigeren Computern und speziellen Programmen.

Das alles aber war lediglich die Vorstufe zur Industrie 4.0, die mehr als schnellere Computer und neuartige Programme verlangte, sondern eine globale Vernetzung benötigte. Und auch hier griffen die Entwickler auf die Militärtechnik zurück, nämlich auf das für die Raketenabwehr entwickelte Internet, auf die Cloud Technik und auf von Algorithmen getroffene Entscheidungen. Es war die Stunde, in der das Internet der Dinge entstand, ein Netzwerk, das nicht nur Herstellung und Transport steuert, sondern in Echtzeit registriert, wo sich ein Produkt gerade befindet, wie hoch sein aktueller Wert ist und welcher Bedarf auf welchem Markt existiert. Wenn zum Beispiel eine Turbine von Siemens in Tokio heiß läuft, meldet ein Sensor diesen Zustand an das Werk in München und der Firmenrechner wirft einen Wartungsauftrag für den am nächsten gelegenen Service aus.      

Hatte die bisherige technische Rationalisierung fast ausschließlich produktive Arbeit ersetzt, vernichtete der Computer jetzt massenhaft Arbeitsplätze in den Konstruktions- und Finanzabteilungen und in der Logistik. Ganze Berufszweige verschwanden, wie etwa die Schriftsetzer im grafischen Gewerbe, die Kontoristin in der Buchhaltung und die meisten Arbeitsvorbereiter in der Produktion. Gleichzeitig mit den Veränderungen in der materiellen Produktion wälzte die neueste industrielle Revolution aber auch die personellen und finanziellen Dienstleistungen um. Überall verschwand Servicepersonal und in den Banken und Börsen begannen Supercomputer in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen zu treffen, für die früher Stunden benötigt wurden. Es ist kein Wunder, dass diese radikalen und selten rational begreifbaren Umwälzungen sowohl Faszination, als auch Ängste auslösen, doch dafür ist eben weniger die Technik, als die Ökonomie verantwortlich, die diese Technik erstens benötigt, um ihren Hunger nach Profit  zu stillen und zweitens sie auch nach ihren Bedürfnissen entwickelt, beziehungsweise deformiert.    

 

Ernüchternde Tatsachen

Während Politik und Wirtschaft bis heute auf die Wunder der digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft hoffen, breitet sich selbst unter konservativen Ökonomen Skepsis aus, weil die erhofften Effekte ausbleiben. Das wirtschaftliche Wachstum ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr und selbst Zinsen im Nollkommabereich sind unfähig, die Investitionstätigkeit im produzierenden Gewerbe voranzubringen. Wirkliches Wachstum und märchenhafte Profite erzielen lediglich die Softwaregiganten und Internetkonzerne, wobei sich auch diese weniger auf Produktionsgewinne, als auf die enorme Steigerung ihrer Aktienwerte gründen. Das wichtigste Datum einer prosperierenden Wirtschaft aber, nämlich die Steigerung der Arbeitsproduktivität, hinkt auf dramatische Weise hinterher. Seit der großen Finanzkrise  steigt die wirtschaftliche Leistung der BRD nur noch im Nullkomma-Bereich. Die Arbeitsproduktivität, also die Leistung je Arbeitsstunde eines Erwerbstätigen, ist seit der Finanzkrise nur um weniger als ein Prozentpunkt gestiegen – und das trotz rasanter Digitalisierung.[1]

Plötzlich entdecken neoliberale Ökonomen, wie etwa Hans Werner Sinn, den von Marx gefundenen tendenziellen Fall der Profitrate und erkennen, dass die Wirtschaft nicht durch die Verbesserung des Angebots, vor allem der menschlichen Arbeitskraft, sondern allein durch kauffähige Nachfrage vorangetrieben wird.[2] Die aber muss zwangsweise einbrechen, wenn der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen stagniert oder in vielen Länder sogar sinkt und gleichzeitig die öffentliche Nachfrage durch die Sparpolitik eingeschrumpft wird. Weil das alles so logisch klingt und selbst konservative Ökonomen Zweifel hegen, ob die Digitalisierung der Industrie das lahmende Wachstum wiederbelebt, stellt sich natürlich die Frage, weshalb vor allem die Politik ihre ganze Hoffnungen auf die Industrie 4.0 konzentriert:

 

Das Nullsummenspiel und die Verlierer der Digitalisierung    

Das Mantra über die Chancen für Wachstum und Wohlstand durch Digitalisierung beherrscht die aktuelle Debatte in sämtlichen Parteien – bis hin zur LINKEN. Unisono werden mehr Computer in den Schulen gefordert, der Ausbau der Glasfaserkabelnetze verlangt und die Förderung von Startups propagiert, die sich der Digitalisierung aller Lebensbereiche verschrieben haben. Nicht, dass all dies nicht sinnvoll wäre – aber was sollen die Ergebnisse sein? Wenn die zunehmende Digitalisierung weder das Wirtschaftswachstum aus dem Keller holt, noch Existenz sichernde Arbeitsplätze schafft und bei allem auch nicht die Arbeitsproduktivität zulegt, sind Politik und Wirtschaft entweder von Blindheit geschlagen oder sie haben anderen Gründe. Und die gibt es tatsächlich – auch wenn man darüber ungern redet. Denn die durch Digitalisierung gewonnenen positiven Effekte kommen nämlich nur jenen Kapitalen und auch nur so lange zugute, bis die Konkurrenten die gleiche Modernisierungsstufe erreicht haben. Dieser vorübergehende Extraprofit, wie ihn Marx schon nannte, peitscht Konzerne wie Nationen in einen Digitalisierungswettlauf, den wenige gewinnen aber die meisten verlieren werden. Am stärksten übrigens die Masse der Beschäftigten, die entweder ihren Arbeitsplatz verlieren oder in den Niedriglohnsektor abgedrängt werden. 

Zu den Verlierern gehören auch heute schon die Beschäftigten in den so genannten Schwellenländern. Zwar wird von Seiten der Freihandels- und Globalisierungsenthusiasten behauptet, dass Industrie 4.0 in diesen Ländern für neue, hoch technisierte Arbeitsplätze sorgt, doch die Realität zeigt das Gegenteil. Die globale Vernetzung der Produktion schafft einen globalen Niedriglohnsektor, in dem hochtechnische Produkte zu Hungerlöhnen hergestellt und im Westen teuer verkauft werden. Verlieren muss am Ende auch die Natur, weil durch die global vernetzte Produktion und den rasant wachsenden Transport sowohl Treibstoffe vergeudet, als auch das Klima verschärft geschädigt wird.    

 

Illusionen und Optionen

Die zunehmende Digitalisierung von Produktion und Dienstleistungen birgt ebenso wie die Globalisierung nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen in sich, da jede gesellschaftliche Entwicklung mit ihrem Gegenteil schwanger geht. Nur ist beides nicht von der Technik, ihrer Verbreitung und Weiterentwicklung an sich abhängig, sondern von ihrer gesellschaftlichen und politischen Einbettung. So wird die globale Durchsetzung neoliberaler Prinzipien nicht nur die einseitige Entwicklung der Digitalisierung fortsetzen, sie wird mit dieser Technik auch die globale Konkurrenz verschärfen und neue Formen politischer und vor allem militärischer Konflikte hervorbringen. Der Cyber-Krieg ist längst schon im Gange und fast alle Armeen, einschließlich der Bundeswehr, haben bereits entsprechende Militäreinheiten geschaffen. Wobei zu berücksichtigen ist, dass die Staaten über erhebliche Mittel zur Förderung bestimmter Technologien und Forschungsrichtungen verfügen. Euphorie ist hier ebenso fehl am Platz, wie Illusionen über das emanzipatorische Potenzial der digitalen Wirtschaft. Und obwohl es jede Menge Idealisten gibt, die an humanen oder sozialen Formen der Digitalisierung arbeiten, entscheidet am Ende immer noch der kapitalistische Markt, welche Innovationen sich durchsetzen. Und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit.

Eine weitere Illusion verbirgt sich hinter dem Begriff der digitalisierten Wirtschaft, denn es gibt zwar eine Digitalwirtschaft aber die Wirtschaft selbst ist wesentlich umfassender und differenzierter. Die wichtigsten Arbeitsmittel der abhängig Beschäftigten in der BRD sind immer noch zu mehr als 20 Prozent traditionelle Werkzeuge und Maschinen. Nur 1,7 Prozent bedienen automatische oder computergesteuerte, vollautomatische Maschinen. 42,6 Prozent aller Beschäftigten benutzen lediglich Personal- oder Bürocomputer und nur 0,2 Prozent bedienen Computer zur Steuerung von Maschinen. Außerdem sind selbst in der digitalisierten Wirtschaft der BRD immer noch 10,1 Prozent der Beschäftigten hauptsächlich mit der Nutzung von Fahrzeugen und anderen Transportmitteln beschäftigt.[3] In dieser Statistik enthalten ist freilich nicht nur die Industrie, sondern auch der öffentliche Sektor, der in weiten Teilen, wie etwa in Bildung und Wissenschaft, im Gesundheitsbereich oder im Sozialen, kaum ohne Qualitätsverlust und Einbußen an sozialer Zuwendung weiter automatisiert werden kann.

Und dennoch birgt die sich immer noch beschleunigende Digitalisierung ein gewaltiges, emanzipatorisches Potenzial, das freilich nur gehoben werden kann, wenn die Entwicklung und der Einsatz digitaler Techniken vom Joch des Verwertungszwangs und der Logik kapitalistischer Märkte befreit werden. Gleichzeitig erfordert ein solcher Weg nicht nur eine andere Logik der technischen, sondern vor allem der gesellschaftlichen Fortschritts. Mit einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, in der auf der einen Seite die Digitalisierung der kapitalistischen Produktion boomt, während die öffentliche Infrastruktur verrottet, wo sich ein Teil der Gesellschaft immer mehr Wissen und Kompetenzen aneignet, während im größeren Teil Armut und Analphabetismus zunehmen, lässt sich das emanzipatorische Potenzial der Digitalisierung kaum zu entfalten. Der entscheidende Faktor für die Produktivität einer industriellen Gesellschaft ist immer noch die möglichst hohe, geistige und kulturelle Entwicklung der ihr angehörenden Individuen. Marx hat in seinen „Grundrissen zur Kritik der Politischen Ökonomie“ geradezu prophetisch vorhergesehen, welchen Wandel die Gesellschaften mitmachen müssen, wenn sie die moderne Industrie nutzen wollen. „In dieser Umwandlung“, so schrieb er bereits 1857, „ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eigenen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper – in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffene.“[4]

 

 

 

 


[1] Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Memorandum 2016, Tabellenanhang A9

[2] Tendenzieller Fall, Neues Deutschland 25/26 März 2017, S.21

[3] André Leisewitz, Zur aktuellen Verbreitung und Nutzung digitaler Arb eitsmittel. In. Z Nr. 103, S.44

[4] MEW 42, S.601


[angelegt/ aktualisiert am  28.03.2017]