Harald Werner - Alles was links ist
 

Die Angst vor der Machtlosigkeit der Mächtigen

Ein fast immer übereinstimmendes Merkmal rechtspopulistischer Bewegung ist ihre Sehnsucht nach einer scheinbar heilen Vergangenheit und nach übersichtlichen Verhältnissen. Sie begehren nicht gegen eine herrschende Macht auf, sondern gegen die offenkundige Machtlosigkeit der Herrschenden. Sie lehnen sich „gegen die da oben“ auf, weil diese die politische Entwicklung scheinbar „nicht mehr im Griff haben“. Wobei diese Grundströmung des europäischen Rechtspopulismus keineswegs neu ist. Seine soziapsychologische Basis hat wahrscheinlich niemand ausführlicher untersucht, als das „Frankfurter Institut für Sozialforschung“, das in den 1930er Jahren nach einer Antwort auf die Massenwirksamkeit des Faschismus suchte. Diese äußerst umfangreichen Untersuchungen zum „Autoritären Charakter“ haben nichts an Aktualität eingebüßt, weil sie nicht an den Faschismus gebunden sind, sondern ein grundsätzliches, für bürgerlich-kapitalistische Verhältnisse typisches Sozialverhalten untersuchten.[1] Und um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Es geht hier nicht um den Charakter tatsächlicher oder eingebildeter Autoritäten, sondern um autoritätshörige Menschen. Um die Anhänger eines starken Staates, der Verächter von Demokratie und Weltoffenheit, die in einer komplizierten Welt nach einfachen Antworten suchen. Es geht um diejenigen, die angesichts Angst der scheinbaren Machtlosigkeiten der herrschenden Autoritäten Angst empfinden und sich deshalb eine neue politische Herrschaft wünschen.

Typisch für den autoritären Charakter ist seine geradezu libidinöse Bindung an die Autoritäten. Er verehrt sie, empfindet Befriedigung wenn er von ihnen anerkennt wird und empfindet jede Vernachlässigung seiner Bedürfnisse durch die Autorität als Liebesentzug. Was umgekehrt dazu führt, dass er den Mächtigen die Loyalität entzieht und gegen sie rebelliert, wenn er sich übergangen oder vernachlässigt fühlt. Ein Phänomen, das in der Pädagogik nicht unbekannt ist. Deshalb müssen die großen Unterschiede im politischen Handeln, zwischen den „Wutbürgern“ bei Pegida und AfD auf der einen und dem Rechtsterrorismus auf der anderen Seite, lediglich als zwei Seiten der gleichen Medaille verstanden werden. Der eine sehnt sich nach Autoritäten, der andere rebelliert gegen sie, weil er sich von ihnen verachtet fühlt und wünscht sich letztlich von ihnen anerkannt zu werden. „Seine Auflehnung ist nur oberflächlich“, wie Erich Fromm schreibt. „er kämpft im Grund mit all seinem Trotz um die Liebe der Autorität.“[2]  Es handelt sich um das was in den Studien der Frankfurter Schule, als „negativ autoritärer Charakter“ beschrieben wird. Ein Charakter der um der Zuneigung willen gegen die Autoritäten rebelliert. Auch die Gewalttätigkeit der Rechtsextremen richtet sich nur vordergründig gegen einen autoritären Staat, sondern lediglich gegen einen liberalen. Sie rebellieren nicht, wie die linksradikale Szene, gegen die Bullen, sondern fühlen sich sogar auf eine gewisse Weise mit ihnen verbunden. Was letztlich auch erklären mag, weshalb Polizei und Verfassungsschutz so oft weggeschaut und offenbar auch gewisse Sympathien für Rechtsradikale gepflegt haben. Ein auch in der Weimarer Republik beobachtbares Phänomen.

Dazu passt, sowohl bei Pegida und AfG, als eben auch bei den Rechtsterroristen, dass sie keine antikapitalistischen Positionen beziehen, sondern sich als Verteidiger der „deutschen Wirtschaft“ gegen die EU-Institutionen verstehen. Bei der extremen Rechten sucht man zwar vergeblich nach wirtschaftspolitischen Einlassungen aber die AfD zeigt nicht nur Sympathie für den Neoliberalismus, sondern verteidigt den Wirtschaftsstandort Deutschland auch schon mal gegen den gesetzlichen Mindestlohn und das Streikrecht.

 

Die Angst vor der neuen Unübersichtlichkeit

Hinter den Jahrzehnten des Kalten Krieges schwelte in West wie Ost die Angst vor einem alles vernichtenden Atomschlag, doch diese Angst war ebenso konkret, wie sie auch beherrschbar schien. Das Gleichgewicht der Abschreckung funktionierte und die bipolare Welt des Kalten Krieges war übersichtlich: Im Westen verließ sich die breite Masse auf die Stabilität des ständig wachsenden Kapitalismus und im Osten auf die Unumkehrbarkeit der Geschichte. Auch die Feindbilder waren eindeutig. Aus DDR-Perspektive sah man im Westen Kriminalität und Arbeitslosigkeit, aber friedliches Miteinander und Vollbeschäftigung im eigenen Land. Und wenn sich der Bundesbürger den Osten vorstellte, sah er lediglich Diktatur und Mangelwirtschaft. Bürgerkriege, Terrorismus und Hunger aber waren eine Angelegenheit der sehr weit entfernten „Dritten Welt“. Um die Wirksamkeit dieser Weltbilder zu verstehen, muss man daran denken, dass sie das Weltbild, nicht nur der Deutschen, sondern auch das der meisten Europäer vier Jahrzehnte lang prägten.

Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers löste dieses Weltbild auf, was in der breiten Masse aller Länder zunächst als große Chance gesehen wurde, zumal die Perestroika eine Hoffnung in die Welt gebracht hatte, die scheinbar eine neue Epoche eröffnete. Dass das Gegenteil der Fall war, zeigte sich bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Einerseits mit den Balkankriegen und dem ersten Irakkrieg, aber auch in den kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb der ehemaligen Sowjetunion und dem Entstehen bewaffneter Auseinandersetzungen in der nicht mehr „Dritten Welt“, wo ein Machtvakuum entstanden war, das vor allem die USA zur Stabilisierung ihrer Hegemonie in den Griff bekommen wollten. Man konnte noch annehmen, dass die neuen Kriege das Wohlbefinden der autoritätshörigen Bundesbürger nur wenig tangierten, doch das ändere sich mit den durch sie ausgelösten Flüchtlingsströmen.

Vor allem auch deshalb weil sie den Blick frei machten, für das Elend in Bürgerkriegen wie im Irak und in Syrien oder den Hunger in Afrika. Und schlimmer noch, es wurde unübersehbar, dass die politischen Eliten nicht nur beim Abwehren der Flüchtlinge versagten, sondern auch bei der Befriedung der im Chaos versinkenden Länder. Plötzlich beunruhigte sie die neue Weltlage, die Ausdehnung des Terrorismus auf Europa und die Zunahme der Krisenherde, vor denen die Herrschenden ebenso versagten, wie beim Schließen der Grenzen im eigenen Land.

Zu all dem kommt die Erfahrung, dass die Herrschenden sich hilflos gegenüber der Finanz- und Schuldenkrise zeigten, die Banken weiterhin machen konnten was sie wollten und die Politik nicht einmal die Probleme eines so kleinen Landes wie Griechenland in den Griff bekam. Ganz zu schweigen von der Unüberschaubarkeit der in der EU vor sich hin wabernden Konflikte, nicht nur bei der Abwehr oder mindestens der gleichmäßigen Verteilung der Flüchtlinge, sondern scheinbar auch bei der Durchsetzung deutscher Interessen. Überhaupt scheint es seit dem keine gesellschaftliche Sphäre mehr zu geben, in der nicht die Politik versagt, die Macht vom Staat auf den Markt übergegangen ist und die „kleinen Leute“ auf der Strecke bleiben.

Alles erinnert auf die eine oder andere Weise an das Chaos der Weimarer Republik. Das sich massenhaft durchsetzende Bedürfnis nach einem starken Staat, die Verachtung der liberalen Demokratie und die Konjunktur von Verschwörungstheorien. Auch die Schuldigen waren damals wie heute schnell gefunden. Waren es damals die „Systemparteien“, ist es heute das „System Merkel“ und die Rolle der Juden ist an die „Asylanten“ übergegangen, die scheinbar keinen Respekt vor den „deutschen Werten“ haben, zu Gewalttätigkeiten neigen und die „deutschen Frauen“ bedrohen .

 

Die Sehnsucht nach der Konterrevolution

Betrachtet man die politischen, kulturellen, technischen und ökonomischen Umwälzungen im Übergang zum 21. Jahrhundert, dann darf man getrost von einer revolutionären Umwälzung sprechen. Und zwar einer globalen, was ihre Tiefe und Radikalität nur noch verstärkt. Nur, dass sie als solche nicht wahrgenommen wird, weil sich ihr politischer Charakter hinter ökonomischen und sozialen Umwälzungen verbirgt. Doch die Tiefe und Breite der durch das Ende des Systemgegensatzes ausgelösten Entwicklung ist durchaus vergleichbar mit den revolutionären Umwälzungen nach der „Großen Französischen Revolution“ und dem „Roten Oktober“ in Russland. Wie die Umwälzungen nach dem Fall der Mauer lösten auch die damaligen Revolutionen zunächst Begeisterung aus, schlugen dann aber in Ernüchterung um und mündeten in Entsetzen, über die darauf folgenden Ergebnisse.   

Es ist hier nicht der Platz, die Zunahme konterrevolutionärer Kräfte nach den beiden großen Revolutionen der vergangenen zwei Jahrhunderte nachzuzeichnen, doch die Ähnlichkeiten, der in ihrer Folge auftretenden sozialpsychologischen Prozesse, sind ebenso frappierend[3], wie die Parallelen zum europäischen Rechtspopulismus. Ihre Akteure möchten zurück in die Vergangenheit, die sie ebenso verklären, wie sie die Gegenwart verdammen. Und damals wie heute wird die Restauration vor allem vom Kleinbürgertum herbeigesehnt. Abgesehen von ihren Ideologen und politischen Führern handelt es sich über wiegend um Menschen, die der Politik an sich fern stehen und von ihr vor allem in Ruhe gelassen werden wollen.

 

Warum gerade die Ostdeutschen?

Der durch die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaften verursachte Bruch mit der Vergangenheit hat nicht überall die gleichen Folgen gehabt und erst recht nicht die gleichen Prozesse verursacht. Ganz allgemein ist es kein Geheimnis, dass die ehemaligen DRR-Bürger nicht nur auf eine besondere Weise nach dem Anschluss sozial benachteiligt waren, sondern vor allem politisch-kulturell ins kalte Wasser gestoßen wurden. Wobei die neoliberale Dusche am stärksten die durchnässte, die nicht unbedingt politisch aber emotional und mental durch die DDR geprägt waren. Wobei die DDR zwar war ein bevormundender, aber auch fürsorglicher Staat war, sofern man sich an bestimmte, nicht immer freiheitsberaubende Regeln hielt. Ohne Angst vor Arbeitslosigkeit, kulturell hoch entwickelt und von minimalen sozialen Unterschieden geprägt, glich die DDR einer Großfamilie mit autoritären aber berechenbaren Strukturen.

Die Geduld des Volkes endete und trieb die Menschen spontan auf die Straßen, als die Führung den Laden nicht mehr im Griff hatte. Letztlich in dem Moment, als in Moskau Glasnost und Perestroika herrschten, während sich die SED als reformunfähig erwies und Tatsachen ans Licht kamen, die ein völlig neues Licht auf die eigene Vergangenheit und Gegenwart warfen. Plötzlich wurde auch deutlich, vor allem durch die legalisierte oder geduldete Ausreise via Prag und ungarischer Grenze, dass die Mächtigen machtlos waren. Auf paradoxe Weise bestätigte sich im Herbst 1989 ein Spruch von Lenin, dass nämlich Revolutionen nicht dann stattfinden, wenn die da unten nicht mehr wollen, sondern die da oben nicht mehr können. Und dass Pegida die Menschen in solcher Masse und vor allem im Osten auf die Straße treibt, hat wahrscheinlich viel damit zu tun, dass bei den Ostdeutschen immer noch die Erfahrung lebendig ist, dass man eine handlungsunfähige Regierung durch Dauerprotest stürzen kann.

 

Harald Werner 15.2.16

 


[1] Adorno W. u.a. „Der autoritär Charakter Bd. 1 und 2, Amsterdam 1968 und 1969. Das empirische Material stammt zwar zum überwiegenden Teil aus den USA, wohin Adorno und andere „Frankfurter“ emigrierten, doch sie bauen auf die Vorstudien von Horkheimer u.a, in der Weimarer Republik auf: Fromm, Horkheimer, Mayer, Marcuse u.a. „Autorität und Familie“ 2 Bände, Paris 1936

[2] M. Horkheimer/E. Fromm/H. Marcuse, „Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S.131

[3] Einen hervorragenden Beitrag dazu lieferte die Süddeutsche Zeitung am 10. Februar 2016 mit ihrer „Beilage zur 52. Sicherheitskonferenz in München 2016“.


[angelegt/ aktualisiert am  15.02.2016]